Ein Flimmern im spannenden Hintergrundrauschen des Weltgeplauders.
Niemand ist gemeint.
Neue Literatur, Prosa, Lyrik, Roman, Online Kunst, verbale Performance, Exposé, Epimetheisch, Erfundene erlogene ausgedachte Geschichten.
Da saß ich nun, irgendwo zwischen eingeladen und genötigt, in der zehnten Reihe auf Höhe der Mittellinie. Ich musste es mir nie versprechen, denn eigentlich war es klar, dass ich niemals zu einem Fußballspiel in so ein perverses Stadion gehen würde, um dabei zuzusehen, wie 22 Millionären in kurzen Hosen und tättoowiert wie die Klotür einer Mittelschule einem Ball hinterher schwitzen. Und jetzt das: Champions League, Heimspiel, KO-Runde. Es musste Sieger geben und vor allem Verlierer. Einen vermutete ich bereits.
Die Kurve vollführte die obligatorische Choreo, was ein irgendwie seltsames Zeremoniell war, denn es wurde nur ein alles überdeckendes Banner hochgezogen, wohinter die echten Fans verschwanden. Das erinnerte mich an vieles, aber ganz sicher nicht an Tanzen, mehr an eine unheimlich bewegungsfreie Extase. Neben mir mein Gastgeber, mein designierter Schwiegervater umwölkt von einer Aura seligen Lächelns, der sich immer aufrichtig über mich freute, weil er endlich jemanden hatte, mit dem er über Gott und die Welt ordentlich streiten konnte. Es war seinerseits sicherlich nicht als Initiation gedacht, vielmehr wollte er mich an seiner einzigen Leidenschaft teilhaben lassen und leck mich, selten hat ein so dünner Mann lauter geschrien, getobt, gesungen und gejubelt. Mit der Performance war er definitiv ein Anwärter auf die Nummer 301.
Kurz vor der Halbzeit ging dann die gegnerische 9. im heimischen Strafraum zu Boden und Schwiegerpapa in spe sprang auf, brüllte was von »Schwalbe, Memme, Weichei«, mit einigen noch unerfreulicheren Adjektiven dazwischen. Doch ein Schiedsrichterpfiff blieb aus. Beruhigt setzte er sich wieder. Ich schaute ihn an und sagte zu ihm: »Das war doch Elfer und letzter Mann, also rote Karte.« Seine Augen weiteten sich, der rechte Arm ging hoch, doch überraschend senkte er ihn sofort wieder, grinste mich an, zwinkerte mir zu und wuschelte mein Haar. Vermutlich ist es die gleiche Geste, wenn ein blöder Köter auf der Terrasse an eine leere Bierkiste pisst. Ich nahm es wie ein Köter und ignorierte es.
Ab der 80. Minute war es dann klar, das Heimteam hatte eine komfortable Führung und das Gastteam und seine Fans fügten sich in die kommende Niederlage. Sie waren eh nicht die Favoriten auf den Betboards und hatten sich anständig verkauft. Die gegenseitigen ritualisierten Fanbeschimpfungen im Choral verrannen, stattdessen wurden international bekannte Fan-Schlager intoniert, riesige Fahnen in der Luft gerührt und auch die am Spielfeldrand in Rollstühlen sitzenden Paralysierten und spastisch Gelähmten propellerten ihre Schals. Das englische Wort Fan meint auch eine Luftschraube, die sich um sich selbst dreht und heiße Luft abführt.
Woge um Woge der Euphorie brandete durch die Arena, ein Passatwind der Emotionen atmete heiß durch die Menschen und hauchte für einige Momente ihre Vergangenheit und Zukunft fort, erlöste sie für wenige Augenblicke in ein gegenwärtiges Vergessen. In dieser Brandung saß ich, staunte ich und hatte in jeder Hand einen großen Bierbecher und … ich hatte mich in meinem Leben selten einsamer gefühlt.
Später dachte ich intensiv darüber nach, wer denn jetzt der Honk war, die oder ich. Bis sich schließlich dieser Gedanke einstellte: Ich war kein Honk und damit war auch dieses Gefühl da. Es war nicht selbstgefälliger Stolz, es war eine milde Erleichterung. Und ich erkannte in meinem Bedauern über sie, dass auch sie keine Honks waren sondern Flüchtende, und dass ich verdammt noch mal noch viel zu tun habe.